Bin ich eigentlich mal wieder der, die und/oder das Einzige, den, die oder das diese quasi als Selbstverständlichkeit ausgedrückte Feststellung irgendwie stört?
Den Auftrag zur Regierungsbildung wird der CDU-Politiker Mario Voigt als Zweitplatzierter erhalten.
Wie genau rettet man mit solchen merkwürdigen Spielchen eigentlich die Demokratie vor irgendwem? Also ich verstehe, was die taz damit ausdrücken möchte, aber dass der Zweite per Akklamation zum Sieger ernannt wird, ist zumindest ärgerlich.
“Der Wähler” ist erst einmal eine vielköpfige Kreatur, die nur zu 30% Afd gewählt hat. Zu 70% nicht—egal, wie man jetzt zu dem stehen mag, was sonst noch so gewählt wurde.
Zusätzlich ist die Übergabe der Macht an die Afd auch insofern gefährlich, als dass man nicht weiß, unter welchen Vorzeichen dann die nächste Wahl stattfindet und was bis dahin alles so kaputt gemacht wurde im Staat. Gibt es noch eine unabhängige Justiz? Gibt es noch einen funktionierenden ÖRR? etc.
Ja, jede Partei wurde nur von einer Minderheit gewählt. Die Minderheit der AfD ist aber die größte.
Die “Übergabe der Macht” an die von den meisten Wählern gewählte Partei nennt man “Demokratie” und irgendwie las ich in den letzten Wochen recht oft, die müsste man “retten”.
Ich halte von der AfD das Nötigste (d.h. nichts), aber es wird gern vergessen, dass der Ministerpräsident kein Gottkaiser ist. Ein Ministerpräsident Björn Höcke, der gegen eine deutliche Mehrheit ohne Koalitionspartner regieren muss, ist eine weniger große Gefahr für die Stabilität Thüringens als eine Holzhammerkoalition aus Parteien, die einander echt nicht leiden können; ebenso, damit das nicht falsch verstanden wird, eine Minderheitsregierung aus Parteien, die einander irgendwie mögen, notfalls auch ohne AfD. Medien spekulieren gerade über “CDU und Linke” - und das soll Stabilität bringen und nichts kaputtmachen?
Dies vorweggeschickt:
Die Justiz wird bereits jetzt wesentlich von den Parteien ernannt. Das hielt ich noch nie für eine gute Idee. Plötzlich fällt den Leuten auf, dass das ein Problem ist. Schwierig. :-)
Das entscheidet nicht die Regierung von Thüringen.
Und eine Koalition bringt trotzdem die Interessen von mehr Menschen in die Politik ein.
Wenn wir das “Retten” ernst gemeint hätten, dann gäbe es jetzt ein Afd-Verbotsverfahren, wenigstens gegen die offiziell als rechtsextrem anerkannten LVs. So ernst meinen wir es offensichtlich doch nicht.
Dass demokratische und zivilgesellschaftliche Strukturen bei der Afd in ganz schlechten Händen sind, ist dir hoffentlich bewusst.
Du willst also eine Afd-Minderheitsregierung, die entweder zeigt, dass:
(korrekterweise) auf alle anderen Parteien schieben wird.
Zudem geht das dann einher mit noch verstärkter Medienpräsenz von Höcke.
Schon richtig. Aber auch da ist es wie es anderswo ist, dass eine faschistische Partei mit mehr Macht ein geordnetes Arbeiten nicht wahrscheinlicher macht.
Gut, bleiben wir mal bei dem witzigen Szenario einer Koalition aus CDU, BSW und Linken: Drei Parteien, von denen der Wähler mehrheitlich nicht wollte, dass sie regieren, regieren voller inhaltlicher Widersprüche “mit”- und/oder gegeneinander. Wem ist damit dann eigentlich geholfen?
Also machen “wir” jetzt das Gegenteil und scheißen auf das Wählervotum. Der Wähler ist eh nur zu blöd für Demokratie. Schaffen wir doch Wahlen einfach ganz ab, dann ist das Problem mit der AfD auch gelöst. So etwa?
Zivilgesellschaftliche Strukturen haben in den Händen einer Partei nichts verloren. Fefe z.B. unkte ja schon vor Monaten: Die nächste faschistische Regierung wird den derzeitigen Regierungen sehr dankbar dafür sein, dass sie es ihr aus reiner Gier so leicht gemacht haben, die Gesellschaft komplett zu übernehmen; bzw.: gib deinem Freund nie die Mittel, von denen du nicht willst, dass dein Feind sie bekommt.
Ja nun.
Prämisse falsch: Ich will gar keine AfD-Regierung. Aber ich bin auch kein Thüringer Wähler, der nämlich anscheinend schon. Und das halte ich für ein nicht unwichtiges Kriterium bei der Frage, wer Thüringen regieren sollte, oder?
Ich finde dieses Brandmauergetue zumindest schwierig. Ich habe Verständnis dafür, dass man nicht mit der AfD zusammenarbeiten will, aber aus rein demokratischer Sicht ist das komplette Aussperren der - um das noch mal zu betonen - größten Wählergruppe aus dem eigenen politischen Treiben schwierig zu begründen.
Zumal es zu solchen lustigen Auswüchsen führt:
Dem ließe sich vorbeugen, indem man den Willen des Thüringer Souveräns respektiert. Welches Signal möchtest du denen, die bisher die AfD gewählt haben, denn senden? Denn momentan ist es das folgende:
Und - ist die Demokratie jetzt gerettet?
Ach je, so direkt sympathisch ist er nun nicht. Wobei: Die FAZ hatte letztens in der Sonntagsausgabe ein Porträt von Björn Höcke, in dem im Wesentlichen stand, dass er privat ein schüchterner Kuschelbär sei, aber das möchte er nicht öffentlich lesen. Das fand ich witzig.
Man hätte vorher was daran ändern können, aber da hatte man ja selber noch davon profitiert.
Aber die Justiz, wer auch immer sie besetzt hat, muss sich an geltendes Gesetz halten; und um das zu ändern, ist die AfD dann doch noch zu klein.
@tux0r
Also waren damals die Abgeordneten der DNVP die einzig wahren Demokraten der Weimarer Republik, als sie der stärksten Fraktion die Kanzlermehrheit verschafft haben? Sie haben schließlich als einzige Fraktion den Schneid gehabt den Wählerwillen zu respektieren?!
Oder ist Demokratie doch komplizierter?
Man kann und sollte die Weimarer Republik nicht mit der Bundesrepublik vergleichen. Das politische System ist doch ein sehr anderes, übrigens aus guten Gründen.
@tux0r
Ich vergleiche auch nicht das politische System von Weimar und der BRD. Ich vergleiche eine spezifische Situation: eine Fraktion hat eine klare Mehrheit, der “Wählerwille” sagt uns also diese Fraktion solle den Regierungschef stellen. Das zu verhindern nennst du bislang undemokratisch.
Ich formuliere meine Frage um: wäre es damals undemokratisch gewesen einen Reichskanzler Hitler zu verhindern, obwohl er die Wahl November 32 gewonnen hatte? Wenn nein, warum nicht?
Edit: im Übrigen kann und sollte man die beiden deutschen Demokratien immer und ständig vergleichen, gerade in Zeiten in denen Faschisten wieder Wahlsiege erringen.
Ja, ich bin der Ansicht, die Wähler in Thüringen würden sich von allen anderen Parteien nur noch verhöhnt fühlen, wenn der Kernpfeiler der Demokratie, nämlich, dass die Mehrheit der Wähler anstelle einer Parteienoligarchie den Ton angibt, missachtet wird.
Was, glaubst du, werden die Wähler dann nächstes Mal machen? Oder ist dir das egal, weil eh noch eine Weile hin?
@tux0r
Dann ist es Teil des demokratischen Prozesses, dass Demokratien sich hin und wieder selbst abschaffen und Platz für Barbarei machen, wenn die Mehrheit es so will (oder unter falschen Versprechungen Menschen an die Macht wählt, die es so wollen)? Das gegen den Mehrheitswillen zu verhindern ist undemokratisch?
Oder sollten Demokratien Schutzmechanismen mitbringen, die eine Abschaffung der Demokratie verhindern? Oder Schutzmechanismen, die die Abschaffung zivilisatorischer Errungenschaften wie Grundrechte oder Minderheitenschutz auch gegen den Mehrheitswillen verhindern?